Hermann Knoflacher: “Stehzeuge – Der Stau ist kein Verkehrsproblem.”

Böhlau Verlag, Wien 2001

Die Bauordnungen – perfekte Menschenfallen

Seite 146

Die Verkehrsmittelwahl wird zu Hause entschieden – wo sonst?
Die Bauordnungen aller Länder sorgen dafür, dass dem jüngsten Kind der Mobilität, dem Auto, an der besten Stelle genügend Platz eingeräumt wird. Sie schreiben vor, dass zu jedem Haushalt ein entsprechender Autoabstellplatz gebaut werden muss, der sich in der Nähe des Hauses oder im Haus zu befinden habe. Damit wird den Autofabriken der Lebensraum für “ihre Kinder” gesichert.

Auf Grund seiner evolutionären Ausstattung trachtet jeder Mensch danach, den Einsatz körpereigener Energie zu minimieren. Befindet sich das Auto in der Nähe, wird er versuchen, den aufrechten Gang sehr schnell durch das bequeme Sitzen im Auto zu ersetzen. Die Nähe zum Auto wird daher jeden Fußgeher, falls er über ein Auto verfügt, sofort zur Benützung des Autos drängen.

Fußwege bis 50 m akzeptieren noch 100% der Menschen, größere Entfernungen verlieren sehr schnell an Akzeptanz. 200 m Fußweg sind am flachen Land schon mit 50% Akzeptanzverlust verbunden. Es werden daher 50% der Autofahrer am Land, wo es keinen Parkplatzmangel gibt, bereits bei Distanzen von 200 m im Auto zu finden sein.

Es darf daher niemanden wundern, wenn die Leute das Auto benützen, um 200-300 m weit ins Wirtshaus zu fahren. Ich wohne in einem kleinen Ort, wo die Milch noch beim Bauern geholt wird. Es gibt Bewohner im selben Ort, die ca. 200 m vom Bauern entfernt wohnen und für diesen Weg das Auto benützen. Diese regen sich furchtbar darüber auf, wenn sich im Winter der kalte Motor nicht gut starten lässt, und sie stellen den Motor selbstverständlich in der Zeit, während sie die Milch im Bauernhof holen, nicht ab, damit es später schön warm im Auto ist. Es wäre zweckmäßig, wenn sie sich das Benzin, das sie zum Milchholen verbrauchen, vorher in die Milchkanne einfüllen, damit sie zumindest geschmacklich wissen, was sie dabei angestellt haben.

Im Prinzip sollte man jedem Wirtshausbesucher eine adäquate Menge des Benzins, das er aufgewendet hat, ins Bier oder ins Essen schütten – das würde dieses unsinnige Verhalten sehr schnell sinnlich wahrnehmbar machen.

Mit den Bauordnungen wurden daher perfekte Menschenfallen geschaffen – durch diese Randbedingungen wird jeder gezwungen, sein Auto zu benutzen.

Befreiung aus der Grube

Seite 200

Das Auto muss bereits an den Ausgangspunkten [der Fahrt] mit mehr Körperenergie als alle umweltverträglichen Mobilitätsformen belastet werden. Man muss es nur aus der Nähe menschlicher Aktivitäten entfernen, damit man alles, was man täglich benötigt: Geschäfte, die meisten Arbeitsplätze, die täglichen Freizeitmöglichkeiten, die Geselligkeit usw., zu Fuß früher erreicht als das Auto.

Der Gewinn, den wir dafür erhalten, ist, dass wir wieder menschenwürdige Umgebungen mit vielfältigen Aktivitäten entstehen lassen können. Geschäfte, Arbeitsplätze, Freizeiteinrichtungen vernetzen Strukturen dieser Art.

Auf das Auto muss man nicht verzichten, man muss nur zumindest so weit zum geparkten Auto gehen wie bis zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrs. Dafür erhält man aber die Freiheit der Verkehrsmittelwahl, die Freiheit einer vielfältigeren Arbeitsplatzwahl, die Freiheit der Selbstbestimmung und eine differenzierte Entwicklung der Gesellschaft und der Kulturen.

Verkehrswende für Darmstadt