Der Darmstädter Magistrat hat in seiner Sitzung vom 15.8.2018 die Vorlage 2018/0236 beschlossen: den Green City Plan Darmstadt.
Was ist das, wie kommt es dazu und was steht drin?
Auslöser ist der Plan der Bundesregierung von Dez 2017, Diesel-Fahrverbote mit möglichst wenig Aufwand zu verhindern. Sie hat Fördergelder in Aussicht gestellt, wenn die Kommunen ein Strategiepapier entwerfen: das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020“.
So steht also in der Vorlage:
Ziel ist es, Maßnahmen zur Reduktion von Luftschadstoffen im Stadtgebiet [..] zu erreichen. Übergeordnetes Ziel [..] ist die zeitnahe Unterschreitung des gesetzlichen Greenzwertes für NOx, um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger [..] zu wahren.
Aber schon im nächsten Absatz steht dann:
Der Green City Plan wird [..] vorgelegt, [..] um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zu vermeiden.
Welche Maßnahmen sind also geeignet, die NOx-Belastung der Atemluft schnell zu reduzieren? Das sollte ja eine einfache Aufgabe sein, denn es gibt ja schon den Luftreinhalteplan. Tatsächlich wurde dieser berücksichtigt, ebenso wie der Landesentwicklungsplan, der Flächennutzungsplan, das Integrierte Klimaschutzkonzept.
Die lokalen Akteure, wie ADFC, VCD, FUSS e.V. wurden hingegen nicht eingebunden.
Ohne [..] weitreichende Maßnahmen und verstärkte Anstrengungen ist [..] keine Unterschreitung des Grenzwertes bis 2020 möglich. (Vorlage, S. 4)
Der Ausbau des Radverkehrs und des Angebots im [ÖPNV] kann die Veränderung des Mobilitätsverhaltens [..] weg vom MIV unterstützen und beschleunigen. (Konzept, S. 8)
So, Butter bei die Fische: Im Konzept werden 48 Maßnahmen dargestellt, die in 17 „Maßnahmenbündeln“ sortiert sind. Die Themenbereiche wurden vom Fördergeber vorgegeben.
- 3x Digitalisierung
- 4x Vernetzung
- 3x Radverkehr
- 4x Elektrifizierung
- 3x Urbane Logistik
Ich konzentriere mich hier mal auf „Radverkehr“ und „Urbane Logistik“, da ich vermute, dass der Rest eh Spielerei ist.
Inhalt
Radverkehr
R1 – „Stufenkonzept für beschleunigte Umsetzung eines übergreifenden Radverkehrsplans zur Erhöhung des Modal Split Anteils des Radverkehrs von derzeit 17% (Erhebung 2015) auf 25% bis 2030.“
R1-1 – „Herstellung eines in sich geschlossenen Radverkehrsnetzes / Zubringer zu Radschnellverbindungen, Radwegeausbau, Ausweisen von Fahrradstraßen“ (kurz-mittelfristig)
-> Fahrradstraßen Erbacher Straße, Weingartenstraße, Rabenaustraße, Im Erlich, Ettester Straße
-> bauliche Ausgestaltung von Radrouten
-> Freigabe von Einbahnstraßen
-> Ausbau von Radverkehrsanlagen entlang der Hauptverkehrsstraßen
R1-2 – „Beschilderungskonzept, Wegweisung“ (sofort)
-> Vereinheitlichung der Beschilderung
-> Wegweisungskonzept ergänzen um Touristenattraktionen / Sonderziele
R2 – „Attraktivierung Radverkehr durch Fahrzeugförderung und sichere Abstellanlagen [..].“
R2-1 – „Fahrradförderungen“ (sofort-kurzfristig)
-> Anreize für Pedelecs
-> Autoreduzierte Quartiere, Fahrradförderung z.B. Konversionsflächen
R2-2 – „Verleihsysteme“ (sofort-kurzfristig)
-> Call-a-Bike
-> Heinerbike
-> Aufbau eines Pedelec-/E-Bike-Vermietsystems
R2-3 – „Abstellanlagen, Abstellflächen“ (kurz-mittelfristig)
-> Abstellanlagen / Radboxen an allen Bahnhöfen
-> Fahrradparkhaus in der Innenstadt (Pali-Parkplatz?)
R2-4 – „Erhöhung der Verkehrssicherheit“ (sofort)
-> unterschiedliche Ansätze in Erprobung
-> Durchgängiges Radwegenetz, Beseitigung von Engstellen
-> T30-Zonen
-> Abstimmung des Verkehrs / Vermeidung von Unfällen
-> Geschwindigkeitsdifferenzen abbauen (Pedelecs)
-> [..] Gehwegparken und Radwegparken besser verhindern, um Gefahrensituationen zu minimieren
-> Einheitliche Konzepte schaffen, die den Radfahrer nicht zwingen, sich verkehrswidrig zu verhalten
-> Bike flash (Toter-Winkel-Warnsystem für LKWs)
-> Amber lights (Blinklicht für Rechtsabbieger, wenn Radfahrer kommen)
-> Verknüpfung Radverkehr und Radtransport im ÖPNV
R3 – „Förderung dedizierte, verbindender Radinfrastruktur / Ertüchtigung Verteilnetz [..]“
R3-1 – „Raddirektwege“ (mittelfristig)
-> Raddirektweg nach Frankfurt
-> Raddirektweg nach Heidelberg
-> Raddirektweg nach Weiterstadt
-> Raddirektweg nach Roßdorf
-> Raddirektweg nach Dieburg
R3-2 – „Rad- und Fußwegebrücke“ (kurzfristig)
-> Querung Rheinstraße zum Europaviertel / TZ Rhein-Main
Urbane Logistik
L1 – „Stufenkonzept zur Koordination und (Um-)Steuerung der urbanen Logistikaktivitäten [..], autonomer Lieferverkehr“
L1-1 – „Flächenmanagement“ (sofort-mittelfristig)
-> Freiflächenkataster für Lieferanten-Parkflächen
-> Konzept zur Beendigung der Konkurrenz zwischen wirtschafts- und privatwirtschaftlichen Flächen
-> Container als Übergangslösung in der Innenstadt (Depot)
-> Zwischennutzen von Leerständen oder Parkhäusern
-> Nutzung von Konversionsflächen
-> Konzept Abstellflächen für Lastenräder
-> zur Verfügungstellen des öffentlichen Raums für Logistik
L1-2 – „Reduzierung des Lieferverkehrs“ (sofort-kurzfristig)
-> Initiative zur Reduzierung der Warenströme
-> Kommunaler Fuhrpark als KEP DL (Kurier-Express-Paketdienst Dienstleister)
-> Stückguttransport im Bus
-> Nutzung der Gleise für Gütertransport
-> nachhaltige, kosteneffiziente, serviceorientierte Innenstadtbelieferung
-> Einsatz von Lieferrobotern
-> Last Mile Tram
-> Sensorik für Müllentsorgung, um Wege zu reduzieren
-> Baustellenlogistik: Konzept LKW auf Schiene (z.B. stillgelegte Regionalbahnhöfe wieder in Betrieb nehmen)
-> Kombination von Leerfahrtzeiten von Entsorgungsfahrzeugen mit Versorgung
-> Meldeweg für Baustellen schaffen (?)
-> Restrukturierung der Müllabfuhr, Abholung nach Verbrauch
-> Umladestationen / Zwischenlader für Müllentsorgung
-> Street Scooter zur Ent- und Versorgung
-> Bündelung von Diensten: Ausschreibung von Gebietsbelieferung-Konzessionen
-> Citymaut für Lieferverkehre
-> Verbot von „same day delivery“ (Belieferung am gleichen Tag wie die Bestellung)
-> Koordination der Lebensmittelbelieferung
-> Erleichterung von Parksuchverkehr für nicht substituierbare (nicht zu ersetzende) Nutzfahrzeugverkehre, z.B. Handwerkerparkausweis
-> Sicherung innenstadtnaher Gewerbeflächen (Handwerk, Dienstleistungen) zur Vermeidung unnötigen Verkehrs. Stadt der kurzen Wege.
L1-3 – „Einrichtung von regulierten Zufahrtszonen mit quantitativer Erfassung des Lieferverkehrs“ (sofort-kurzfristig)
-> Gebot: schadstoffarme Belieferung der Innenstadt
-> Terrorabwehr / Zugangskontrollen (Poller?)
-> Abfragen von Statistiken und Füllungsgraden von KEP DL (Paketdienstleistern)
-> Einrichten von Haltezonen und Paketlagern in der Innenstadt
-> Einrichtung von regulativen Bereichen, z.B. mit Einfahrtsperranlagen
-> innenstädtische Ladezonen
-> Einrichten von Belieferungs-Zeitfenstern für Supermärkte
L1-4 – „Einführung von Flottenprüfsiegeln“(sofort-kurzfristig)
-> Flottenprüfsiegeln für gewissen Anteil an alternativen Antrieben – Aufrechterhaltung der Flexibilität
L2 – „Einführung City Logistik Management zur Strukturierung und Integration der Aktivitäten zu Standorten / Flächen und Wechsel von Fahrzeugen“
L2-1 – „Logistikflächenschaffung“ (kurz-mittelfristig)
-> Kopplung Baugenehmigung / Logistikflächen
-> Anbieterübergreifende Logistikflächen
L2-2 – „Einrichtung Mikrodepots / Güterverteilzentren“ (kurz-mittelfristig)
-> Mikrodepot als zweiter Umschlagspunkt (am Stadtrand)
-> fahrbares Mikrodepot
-> Mikrodepots für Cargo-Bikes
-> Güterverkehrszentren-System im Rhein-Main-Gebiet
-> Management von Güterverteilzentren
L2-3 – „Gezielte Förderung E-Cargobikes, Pedelecs, Pedelec-Verleih“ (sofort)
-> Kommunale Kaufprämien für Cargo-Bikes
-> System von E-Lastenrädern (Pilotprojekt GLS mit einem Lastenrad)
-> Förderung E-Cargobikes für Gewerbe
-> Förderung Pedelecs für städtische Gesellschaften
L2-4 – „Belieferung durch E-Lastenräder / E-Kleinstfahrzeuge aus mobilen Mikrodepots heraus“ (sofort-mittelfristig)
-> E-Kleinstfahrzeuge für die Innenstadtbelieferung
-> Packstationen an Mobilitätsstationen
-> Velo Carrier – Transport von und in die Innenstadt mit Lastenfahrrädern
L3 – „Umweltsensitive Lieferflotten-Steuerung / City-Tunnel [..] mit automatischer Verkehrsüberwachung“
L3-1 – „Erfassung, Prüfung, Kontrolle LKW-Verkehr (Innenstadt)“ (kurzfristig)
-> Quantitative Erfassung des Lieferverkehrs
-> Prüfung Innenstadt-Lieferanten: Verpflichtung an KEP-Dienstleister zu melden, wie oft sie in die Stadt fahren
-> Einführung von Flottenprüfsiegeln
-> LKW Lotse
-> LKW-Durchfahrtsverbote
-> Datenerhebung / Datenhoheit von Zählungen des Lieferverkehrs
-> LKW Verkehrssteuerung
L3-2 – „City Tunnel“ (sofort)
-> Befeuchtung des Tunnels mit spezieller Lösung
-> Photokatalytische Asphalte/Pflaster im Tunnel, jedoch auch insbesondere auf anderen Anwendungsgebieten
Weitere Maßnahmen
Zusätzlich werden Maßnahmen vorgestellt, die umgesetzt werden sollen, obwohl sie nicht förderfähig sind:
-> Ausbau Straßenbahnnetz
-> bedarfsorientierte / ergänzende / autonome Mobilitätsangebote
Bewertung
Sehr spannend finde ich die vielen Maßnahmen zu Mikrodepots. Hier sehe ich ein großes Potential, die „letzte Meile“ zukünftig mit Lastenrädern zu befahren.
Die Idee, Raddirektverbindungen nach Heidelberg/Weiterstadt/Roßdorf/Dieburg einzurichten, finde ich sehr gut. (an der Strecke nach Frankfurt wird ja schon gebaut)
Von den Ideen für Fahrradstraßen Erbacher Straße (beim Ostbahnhof), Weingartenstraße (Eberstadt, parallel zur Heidelberger Landstr), Ettester Straße (Arheilgen, westlich vom Löwenplatz) habe ich hier zum ersten Mal gelesen (die letzte Info ist von Dez2017). Wäre schön, wenn es endlich mal eine Fahrradstraße gibt, die primär für Radfahrer da ist, und nicht als Parkplatz dient.